Montag, 24. Juni 2013

Jesus steigt herab



In grauer Vorzeit habe ich einmal Publizistik studiert, was interessant war, solange man sich von der Noelloskopie fern hielt ("Hier haben wir das Ergebnis, dass alle Medien linksradikal unterwandert und Feinde von Helmut Kohl sind, nun machen wir die Empirie dazu…").  
Dabei beschäftigte ich mich auch mit dem Entstehen von Nachrichten an sich und fand dort einen wunderbaren Begriff: Pseudoereignis. Ein solches ist etwas, das speziell zu dem Zweck veranstaltet wird, DASS in den Medien darüber berichtet wird. Die Pressekonferenz wurde damals als das Musterbeispiel eines Pseudo-Ereignisses genannt. Doch das war zu einer Zeit, als das Privatfernsehen gerade das Embryonalstadium verließ und die ganz modernen Medien noch nicht einmal feuchte Träume von Global Village Phantasten waren.
Einer unschuldigen Zeit also, in der man noch persönlich miteinander sprach, manchmal minuten- oder gar stundenlang, ohne auf irgendwelchen berührungsempfindlichen Glasscheiben herumzuwischen um die Konsistenz des gerade beendeten Stuhlgangs weltweit zu kommunizieren.
Lange, lange ist es her.
Damals dominierten mit mindestens 90% Meldungen die Nachrichten, die sich mit Dingen, Menschen, Entwicklungen und Ereignissen befassten, die medienunabhängig geschahen. 
Heute drängt sich mir der Eindruck auf, dass sich die Verhältnisse verkehrt haben. Immer öfter realisiere ich, dass sich das Nachrichtenwesen inzwischen zu 90% mit Pseudoereignissen befasst.
Doch es gibt nichts, das nicht noch einmal zu überbieten wäre.
Was sich gerade abspielt, hätte sich vor 30 Jahren niemand träumen lassen. 
Eine ganze Republik starrt gebannt nach Süden. Das öffentliche Leben ist gründlicher lahmgelegt, als durch einen Generalstreik.
Aber warum?
In einer hochprofessionell arrangierten Totalinszenierung wird man Zeuge einer, nennen wir sie mal „Begebenheit“, die an Banalität kaum zu überbieten ist, tagtäglich weltweit millionenfach stattfindet – und über die mit keinem Wort berichtet wird. 
Ein Angestellter erscheint zu seinem ersten Arbeitstag. 
Welch eine Sensation…
Nun gut, es handelt sich im aktuellen Fall um den Turnlehrer einer Akrobatentruppe im Showgeschäft, die das letzte Rechnungsjahr ziemlich erfolgreich bestritten hat und insofern inzwischen internationalem Standard genügt, als nun auch dieses Unternehmen einen geständigen Wirtschaftsverbrecher an der Spitze hat.
Trotzdem.
Hat irgendjemand schon einmal erlebt, dass die bloße Ankunft eines Fußballtrainers wochenlange Lebend-Berichterstattungen ausgelöst hätte, die ganze Sender dominieren?
Geht es eigentlich noch lächerlicher? 
Dieses Affentheater verfolgen zu müssen bereitet mir geradezu körperliche Schmerzen. Besonders schlimm ist, dass man sich dem absolut nicht entziehen kann, weil es mit aller Marktmacht in JEDE Nachrichtensendung in JEDEM Medium hineingedrückt wird.
Jesus is coming down. Live.
Hallelujah.
Doch was wird, wenn er dann doch nicht (mehr) über’s Wasser gehen kann?
Wird dann wieder live berichtet? Von seiner Himmelfahrt?

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